Interview - Mediation im Täter-Opfer-Ausgleich
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(108,8 KB) vom 30.06.2025
Interview mit Frauke Petzold
(Waage Hannover e. V.)
geführt von Erik Warschkow am 25.06.2025
Einleitung
Frauke Petzold ist Diplompädagogin, Mitgründerin der Waage Hannover e. V.[1] und eine der erfahrensten Praktikerinnen im Bereich Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) in Deutschland. Seit über 30 Jahren engagiert sie sich für außergerichtliche Konfliktbearbeitung im Strafverfahren für erwachsene Straftäter und deren Opfer. Im Gespräch gibt sie einen umfassenden Einblick in die Geschichte, Praxis und Herausforderungen des TOA.
I. Hintergrund & Motivation
Frage 1
Frau Petzold, würden Sie sich kurz vorstellen? Wie sind Sie zum Täter-Opfer-Ausgleich gekommen?
Mein Name ist Frauke Petzold, ich bin Diplompädagogin und habe hier an der Universität in Hannover studiert. Schon im Studium hat mich besonders die Kriminologie interessiert – darüber bin ich dann auch zu einem studentischen Hilfskraftjob am Kriminologischen Forschungsinstitut Hannover gekommen, damals noch unter Christian Pfeiffer.
Dort habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Lutz Netzig gearbeitet, mit dem ich später auch die Waage mitgegründet habe. Wir waren sieben Jahre lang am KfN[2] tätig, zunächst als studentische und später als wissenschaftliche Mitarbeiter:in. In dieser Zeit haben wir Begleitforschung zum Täter-Opfer-Ausgleich gemacht –zu den ersten Jugendprojekten in diesem Bereich, die es damals Mitte der 1980er Jahre gab. Das waren zu der Zeit alles Modellprojekte.
Da wir beide nicht dauerhaft in der Forschung bleiben wollten, haben wir dann überlegt, wie wir die Erkenntnisse aus der Forschung in die Praxis übertragen können. Weil es im Jugendbereich bereits erste Erfahrungen gab, haben wir uns entschieden, das Ganze auf den Erwachsenenbereich zu übertragen – und die Waage gegründet. Das ist nun 33 Jahre her. Die Waage startete damals als dreijähriges Modellprojekt zum Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich – als erster freier Träger überhaupt, der das Konzept ausprobiert hat.
Frage 2
Sie waren mit der Gründung der Waage Anfang der 1990er Jahre ja zeitlich wirklich sehr nah an der späteren gesetzlichen Verankerung des TOA. Würden Sie sagen, Sie waren mit Ihrer Arbeit echte Pionierin in diesem Bereich?
Also der damalige Vorsitzende der Waage, Hartmut Pfeiffer, der ist Jurist und hat den juristischen Teil in der Konzeption übernommen. Und ja, für den Erwachsenenbereich gab es da noch keine Gesetzgebung, das ist richtig. 1994 erfolgte dann die Aufnahme als § 46a StGB in das allgemeine Strafrecht.Frage 3
Was hat Sie damals persönlich an dieser Form der Konfliktbearbeitung besonders interessiert?
Die Chance, die wir gesehen haben, war: Die Modellprojekte im Jugendbereich waren ja recht erfolgreich – es gab damals fünf, und die liefen allesamt gut. Da haben wir uns gefragt: Warum sollte man das nicht auch im Erwachsenenbereich anbieten? Denn auch Opfer von Straftaten im Erwachsenenbereich haben ein berechtigtes Interesse daran, Entschädigung zu erhalten oder vielleicht auch einfach ein langwieriges Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Der Täter-Opfer-Ausgleich ist ja ursprünglich entstanden, um die Stellung der Geschädigten im Strafverfahren ein Stück weit zu stärken – und das war ein Ziel, das wir unbedingt weiterverfolgen wollten.
II. Grundlagen & Rollenverständnis
Frage 4
Restorative Justice reicht ja weiter als der klassische TOA und stellt dabei hohe Anforderungen an Freiwilligkeit. Wie bewerten Sie diese – gerade aus Sicht des Beschuldigten im Strafverfahren?
Naja, also ich glaube, zum ersten Teil: Restorative Justice ist ja sozusagen der Oberbegriff. Wir sind mit der Waage auch ein Stück weit im europäischen Raum aktiv, und ich war sechs Jahre lang im Vorstand des European Forum for Restorative Justice in Belgien. Das ist ein Bereich, der in Deutschland im Vergleich noch ein bisschen in den Kinderschuhen steckt – also alles, was über den Täter-Opfer-Ausgleich hinausgeht. Restorative Justice ist ja etwas weiter gefasst.
Was die Freiwilligkeit auf Täterseite betrifft: Ich denke, das ist letztlich ein wesentlicher Unterschied zur Mediation im Allgemeinen. In der Mediation im Strafverfahren – also im Täter-Opfer-Ausgleich – gibt es immer nur eine eingeschränkte Freiwilligkeit. Der Täter hat zwar eine Wahlmöglichkeit, aber es handelt sich ja in der Regel noch um einen Beschuldigten, nicht um einen verurteilten Täter, weil die meisten Fälle im Ermittlungsverfahren an uns herangetragen werden.
Er kann also entscheiden, ob er sich darauf einlässt – mit der Aussicht, dass sich das positiv auf das Verfahren auswirkt oder es vielleicht sogar eingestellt wird, je nach Schwere des Delikts und Zeitpunkt im Verfahren. Und ich glaube, dass solche Wahlmöglichkeiten auch in anderen Mediationsbereichen eine Rolle spielen. Wenn zum Beispiel in einer Organisation ein Teamkonflikt besteht und der Chef sagt: „Ihr macht jetzt mal Mediation“, bevor vielleicht jemand versetzt wird, dann ist das auch keine ganz freiwillige Entscheidung mehr – zumindest nicht in einem völlig freien Sinn.
Frage 5
Und was motiviert Opfer zur Teilnahme am TOA? Was sind deren zentrale Interessen?
Ich glaube, für viele Opfer steht die Bestrafung gar nicht unbedingt im Vordergrund. Schon damals im KFN gab es dazu Untersuchungen – und meiner Erfahrung nach ist es bei vielen Geschädigten so, dass hinter der Forderung nach Bestrafung oft ganz andere Bedürfnisse stehen. Zum Beispiel das Bedürfnis nach Anerkennung des erlittenen Unrechts, nach Entschädigung, oder einfach danach, dem Täter zu sagen, welche Konsequenzen die Tat für sie hatte.
Wenn jemand etwa drei Wochen mit einem Gipsarm zur Arbeit gehen musste, ein blaues Auge oder eine gebrochene Nase davongetragen hat, oder wenn bei einem Handtaschenraub sehr persönliche Dinge verloren gingen – dann geht es oft nicht nur um materiellen Schaden, sondern um ideelle Werte, um emotionale Belastung. Und das sind Aspekte, für die sich Täter häufig wenig interessieren.
Ich glaube daher, dass viele dieser Interessen im Strafverfahren kaum berücksichtigt werden – zumindest soweit ich weiß, werden Opfer ja meist nur als Zeugen geladen und kaum nach ihren eigenen Bedürfnissen oder Perspektiven gefragt.
Frage 6
Wie stellen Sie Allparteilichkeit sicher – gerade in emotional stark aufgeladenen Verfahren wie bei häuslicher Gewalt? Ist Co -Mediation ein sinnvolles Mittel?
Wir entscheiden das immer im Einzelfall – je nachdem, was gerade notwendig ist. Gerade bei Fällen häuslicher Gewalt kann es sinnvoll sein, in Co-Mediation zu arbeiten, also mit zwei Mediator:innen, idealerweise gemischtgeschlechtlich, Mann und Frau. Das ist ein anerkannter Standard in Fällen von Häuslicher Gewalt.
Was die Allparteilichkeit betrifft – also ich glaube, wir achten da sehr genau darauf. Wenn zum Beispiel ein Geschädigter sagt, dass er gerne eine Vertrauensperson dabeihätte, spricht absolut nichts dagegen. Eine Schutzperson oder jemand zur Unterstützung – vorausgesetzt, die andere Seite ist einverstanden. Transparenz ist dabei das A und O.
Und wenn wir selbst das Gefühl haben, in einem Fall nicht allparteilich sein zu können, geben wir den Fall auch schon mal an einen anderen Kollegen/Kollegin ab. Um das gut zu reflektieren, hilft uns die regelmäßige Supervision und kollegiale Fallberatung.
Wir klären mit allen Beteiligten vorher ab, was es braucht, damit sie sich sicher fühlen – emotional wie auch situativ. Für die Allparteilichkeit hilft die Co-Mediation natürlich auch. Und in den Fällen von Häuslicher Gewalt sind die Geschädigten meist auch in anderen Hilfesystemen eingebunden. Das erfragen wir auch in den unverbindlichen Erstgesprächen mit den Geschädigten.
III. Praxis & Qualität
Frage 7
Wie erhalten Sie Feedback von den Beteiligten? Gibt es standardisierte Formen oder geschieht das eher informell?
Na ja, Feedback erhalten wir in vielen Fällen allein schon deshalb, weil wir die Einhaltung der Vereinbarungen überprüfen müssen. Wenn die Beteiligten eine Vereinbarung treffen – was bei uns in der Regel schriftlich geschieht –, dann kontrollieren wir, ob diese auch umgesetzt wird, und geben eine Rückmeldung an die Staatsanwaltschaft. Insofern haben wir auch nach der eigentlichen Mediation häufig noch Kontakt zu den Beteiligten.
Bei der Waage machen Fälle häuslicher Gewalt etwa 50 bis 60 Prozent unseres Fallaufkommens aus. Wenn es dabei zu einer direkten Mediation kommt – was nicht immer der Fall ist, manchmal handelt es sich auch um Shuttle-Mediation –, bieten wir in der Regel ein sogenanntes Bilanzgespräch an. Das findet etwa zwei bis drei Monate später statt. Wir laden die Beteiligten dann ein, noch einmal zu kommen, um gemeinsam zu schauen: Wie geht es Ihnen heute? Was ist aus der Vereinbarung geworden? Gerade weil es in diesen Fällen oft nicht um materielle, sondern eher um immaterielle Vereinbarungen geht, lässt sich so besser nachvollziehen, wie sich die Dinge entwickelt haben.
Und ja, ich frage am Ende jeder Mediation auch ganz konkret: „Wie geht es Ihnen jetzt?“ oder „Wie erleben Sie das Gespräch rückblickend?“ Die Menschen kommen ja oft sehr aufgeregt zu uns – das ist verständlich, denn niemand nimmt gerne an so einem Gespräch teil, wenn er oder sie in einem ernsthaften Konflikt steckt. Und oft reicht es schon, wenn die Beteiligten sagen: „Ich bin froh, dass ich das mal aussprechen konnte. Dass es angekommen ist, was mir auf der Seele lag.“ Das empfinden viele als Erleichterung – selbst wenn es keine abschließende Einigung gegeben hat. Und das ist für mich dann auch schon ein Erfolg.
Frage 8
Welche Qualifikationen bringen die Mediator:innen bei Ihnen mit – und wie sichern Sie die Qualität?
Bei uns ist es so, dass alle Mediatorinnen und Mediatoren – auch die Ehrenamtlichen – eine fundierte Ausbildung durchlaufen haben. Ich selbst bin Ausbilderin für Mediation, und wir bieten hier an der Waage bundesweit anerkannte Ausbildungen an, die sich an den Standards des Bundesverbands Mediation sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation orientieren. Das sind zwei der großen Fachverbände in Deutschland. Unsere Trainings umfassen 220 Stunden, und diese absolvieren alle, die bei uns tätig sind.
Frage 9
Wann würden Sie sagen: „Das war ein gelungener Täter-Opfer-Ausgleich“?
Letztlich geht es in der Mediation ja darum, dass die Beteiligten am Ende mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gehen. Es muss dabei gar nicht zwingend eine große schriftliche Vereinbarung entstehen. Wenn die Menschen sagen: „Das war ein gutes Gespräch für mich“, dann ist das für uns ein Zeichen, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Unser Ziel ist es, Menschen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Mediation ist ergebnisoffen – man weiß vorher nie, was genau dabei herauskommt. Aber wenn am Ende beide Seiten sagen können: „Das hat mir etwas gebracht“, dann ist das ein Erfolg.
IV. Herausforderungen in der Praxis
Frage 10
Trotz zahlreicher Vorteile landen - nach meinem Eindruck - wenige Verfahren überhaupt im TOA. Woran denken Sie liegt das?
Diesen Eindruck teilen wir auch. Zumal die Fallzahlen tatsächlich rückläufig sind – und das scheint inzwischen ein bundesweiter Trend zu sein. Ich denke, es handelt sich um ein strukturelles Problem. In der Justiz ist es für viele Dezernentinnen und Dezernenten schlicht einfacher und schneller, Anklage zu erheben. Der Täter-Opfer-Ausgleich hingegen bedeutet, dass das Verfahren noch einmal auf den Tisch kommt: Es muss erneut geöffnet, geprüft und bearbeitet werden. Das ist ein zusätzlicher Aufwand.
Gerade vor dem Hintergrund der ohnehin hohen Arbeitsbelastung in der Justiz erscheint es naheliegend, dass viele aus arbeitsökonomischen Gründen lieber den einfacheren Weg wählen. Hinzu kommt, dass die Opferperspektive in der Justiz – zumindest aus meiner Sicht – oft weniger stark ausgeprägt ist als die Orientierung am Täter.
Frage 11
Ist das nicht besonders enttäuschend – gerade im Hinblick auf die gesetzliche Verankerung?
Ja, das ist aus meiner Sicht wirklich bedauerlich – vor allem für die Geschädigten. Denn gerade jetzt, wo die Europäische Opferschutzrichtlinie nochmals überarbeitet wurde, ist ja klar geregelt, dass Opfer zumindest über alternative Formen wie den Täter-Opfer-Ausgleich informiert werden müssen und auch die Möglichkeit haben sollen, diese in Anspruch zu nehmen.
Insofern ist es eigentlich kaum vertretbar, dass diese Angebote so wenig genutzt werden – zumal auch gesetzlich verankert ist, dass bei jedem Verfahren geprüft werden soll, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich in Betracht kommt.
Frage 12
Haben Sie eine Idee, welche strukturellen oder institutionellen Änderung kommen müssten, um den TOA mehr in den Vordergrund zu rücken?
An dieser Idee arbeiten wir nun schon seit 30 Jahren. Wir haben in der Zeit vieles versucht und kontinuierlich daran gearbeitet, die Situation zu verbessern. Es gab immer wieder Phasen, in denen sich etwas bewegt hat – so eine Art Wellenbewegung. Zum Glück ist unser Vorstand sehr stark justiziell geprägt – wir haben viele Menschen aus der Justiz dabei, die uns auch aktiv unterstützen.
Das bedeutet aber nicht, dass sich ein so großer Apparat wie die Staatsanwaltschaft Hannover ohne Weiteres in Bewegung setzen lässt. Dennoch hatten wir das Glück, dort auch Aktenanalysen durchführen zu dürfen – also selbst in die Akten zu schauen, Fälle zu identifizieren und dann gezielt auf die Dezernentinnen und Dezernenten zuzugehen, um aufzuzeigen: Aus unserer Sicht wäre das ein geeigneter Fall für einen Täter-Opfer-Ausgleich. Das war auf jeden Fall ein großes Entgegenkommen.
Wir bieten darüber hinaus regelmäßig Informationsveranstaltungen an, gehen in deren Teamsitzungen, zu den Abteilungsleitungen, sind in der Ausbildung der Referendarinnen und Referendare sowie bei den Assessoren mit eingebunden. Also wir tun schon einiges, um präsent zu sein. Aber man muss eben auch sagen: Das führt leider nicht automatisch zu einem massiven Anstieg bei den Fallzuweisungen.
V. Rechtliche Aspekte & internationale Perspektiven
Frage 13
In der Literatur werden oft gesetzliche Änderungen, wie das Einfügen einer Verschwiegenheitsklausel für Mediator:innen angesprochen. Halten Sie das für sinnvoll?
Ja, das ist tatsächlich eine etwas zwiespältige Situation im Täter-Opfer-Ausgleich. Wir Mediator:innen unterliegen natürlich grundsätzlich der Schweigepflicht. Das bedeutet auch, dass wir gegenüber der Staatsanwaltschaft keine ausführlichen Berichte abgeben – sie möchten von uns lediglich das Ergebnis, nicht den Verlauf.
Andererseits haben wir im Strafverfahren kein gesetzlich verbrieftes Zeugnisverweigerungsrecht, das stimmt. In der Praxis spielt das allerdings bislang kaum eine Rolle. Wir haben hier in Hannover ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zur Staatsanwaltschaft. In den 33 Jahren unserer Arbeit kam es vielleicht drei- oder viermal vor, dass jemand von uns als Zeuge geladen wurde – und das auch nicht durch die Staatsanwaltschaft, sondern durch Verteidiger.
Und selbst dann lässt sich eine Aussage oft vermeiden: Man kann zum Beispiel darauf hinweisen, wie viele Mediationen man geführt hat und dass man sich an Einzelaussagen aus einer bestimmten Sitzung vor Monaten nicht mehr konkret erinnert.
Trotzdem: Vom Grundsatz her haben Sie natürlich recht. In zivilrechtlichen Verfahren – wir machen hier zum Beispiel auch Mediationen in hocheskalierten Familienverfahren, in denen die Eltern um ihre Kinder streiten. Da besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht. Für den Täter-Opfer-Ausgleich wäre das vielleicht auch eine zusätzliche rechtliche Absicherung für die Beteiligten.
Frage 14
Wie steht Deutschland Ihrer Einschätzung nach im internationalen Vergleich da – insbesondere im Bereich Restorative Justice?
Ja, also Belgien ist in diesem Bereich mit Sicherheit deutlich besser aufgestellt. Soweit ich das überblicken kann – ich bin ja keine Juristin –, haben sie dort auch eine tragfähigere Rechtsgrundlage sowohl für Mediation als auch für den Täter-Opfer-Ausgleich.
Ob es beim Täter-Opfer-Ausgleich in vielen anderen Ländern tatsächlich wesentlich besser läuft, kann ich nicht abschließend beurteilen. Ich denke aber, dass gerade im erweiterten Feld der Restorative Justice – also jenseits des klassischen TOA – viele Länder weiter sind als wir.
England zum Beispiel, die USA ohnehin, aber auch Skandinavien sind da deutlich fortschrittlicher. Sie setzen stärker auf Formate wie Circle-Veranstaltungen oder Conferencing. In solchen Bereichen ist man dort einfach schon ein gutes Stück weiter als bei uns.
VI. Ausblick & Vernetzung
Frage 15
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Täter-Opfer-Ausgleichs? Gibt es derzeit Projekte oder Entwicklungen, die Sie besonders hervorheben möchten – z. B. in Bezug auf Netzwerkarbeit oder regionale Modellprojekte?
Wir sind derzeit an einem Erasmus-Projekt beteiligt – inzwischen sogar in einem Folgeprojekt. Es geht dabei um die Entwicklung gemeinsamer Trainingsprogramme, also Programme für Fachkräfte aus der Opferhilfe und aus Einrichtungen der Restorative Justice, speziell für Fälle häuslicher Gewalt.
In Hannover sind wir in dieser Hinsicht bereits sehr gut vernetzt. Wir arbeiten eng zusammen mit Frauenberatungsstellen, dem Männerbüro, dem Kinderschutzbund, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Jugendamt und weiteren Einrichtungen. Dieses Netzwerk ist aus meiner Sicht ein großer Vorteil, weil es eine koordinierte Unterstützung ermöglicht – sowohl für Betroffene als auch für Verantwortliche. Und ich denke, dass ein solcher Austausch auch in anderen Städten und Arbeitsbereichen sehr hilfreich wäre.
Gerade dieses – HAIP – Netzwerk[3] besteht seit 1997 und hat entscheidend dazu beigetragen, die interinstitutionelle Zusammenarbeit zu fördern. Und genau das halte ich für ausgesprochen wichtig.
Redaktioneller Nachsatz:
Das Gespräch mit Frauke Petzold macht deutlich: Täter-Opfer-Ausgleich braucht mehr als gute Gesetze – nämlich Vertrauen, Zeit, Netzwerke und das Engagement erfahrener Praktiker:innen. Projekte wie die Waage Hannover zeigen, was möglich ist – und welche Strukturen noch fehlen, damit Restorative Justice in Deutschland kein Ausnahmefall bleibt, sondern gelebte Praxis wird.
Ich danke Frau Petzold für das freundliche und aufschlussreiche Interview.
[1] Die Waage e.V. ist eine der ersten spezialisierten Einrichtungen für Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht. Der gemeinnützige Träger mit Sitz in Hannover ist seit 1992 tätig.
[2] Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ist ein unabhängiges Institut in Hannover, das seit 1979 empirische Forschung zu Kriminalität und Strafrecht betreibt.
[3] Hannoversches Interventionsprogramm gegen Häusliche Gewalt (HAIP).